Bindungsangst – Warum wir uns „Blindgänger“ angeln.
Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Menschen mit gebrochenen Herzen durchs Leben gehen und sich dabei immer wieder in denselben Beziehungsmustern verstricken. Es scheint fast, als ob viele von uns regelrecht auf „Blindgänger“ fliegen – Menschen, die von Anfang an nicht wirklich gut für uns sind. Und das Erstaunliche daran? Tief in uns wissen wir es besser. Unsere Instinkte warnen uns: ‚Lass die Finger davon‘, und dennoch rennen wir los, getragen von der Illusion, es könnte diesmal anders sein.“
Unsere inneren Alarmsignale schrillen, unsere Instinkte flüstern uns folgendes zu: „Lass lieber die Finger davon“, „Den Angel ich mir“, „den hab ich nicht allein für mich“, „der geht ganz und garnicht“, „meine freunde schlagen die Hände über dem Kopf zusammen“.
Unser Kopf, voll von Hoffnung und Sehnsucht, übertönt die inneren Stimmen und sagt: ‚Vielleicht wird es dieses Mal anders, ich habe viel gelernt und kann jetzt auch mit schwierigeren Situationen gut umgehen“.
Doch dabei wird das alte Programm des Beziehungswunsches unserer Kindheit aktiviert – nur, dass wir leider die falsche Person wählen, um diese alte Wunde zu heilen.
Der Teufelskreis der alten Verhaltensmuster
Wir begeben uns auf diese merkwürdige Reise, obwohl wir eigentlich schon wissen, wie sie enden wird: Es klappt wieder nicht, und am Ende stehen wir alleine da. Doch eigenartigerweise fühlen wir uns allein oft sogar wohler als in der Beziehung. Warum? Weil dieser Zustand – allein zu sein, ohne Bindung – für viele von uns vertrauter ist. Er fühlt sich sicher an, auch wenn er unbefriedigend ist. Sicher vor den Erwartungen anderer an uns.
Viele von uns tragen unerfüllte Wünsche und Sehnsüchte aus der Kindheit mit sich herum. Aber es sind nicht nur die Sehnsüchte, die uns prägen – es sind auch die Beziehungserfahrungen, die wir damals gemacht haben. Diese Muster und Sehnsüchte führen uns oft unbewusst dazu, Menschen auszuwählen, die gar nicht in der Lage sind, uns das zu geben, was wir uns wünschen. Und tief in uns wissen wir das. Aber trotzdem klammern wir uns an die Hoffnung, dass es dieses Mal doch funktionieren könnte. Es ist, als wären wir ständig auf der Suche nach dem Unmöglichen, was uns dann auch die gescheiterten Beziehungen und deren Folgen, quittieren.
Die Angst vor Nähe und das Selbstsabotage-Programm
Ein weiteres faszinierendes Phänomen, das ich immer wieder in meiner Praxis beobachte, ist die ständige Überprüfung der Beziehung. Menschen mit Bindungsangst laufen oft von Anfang an mit einem unsichtbaren Prüfstein durchs Leben und hinterfragen permanent, ob die Beziehung überhaupt eine Chance hat.
Je harmonischer und schöner der Anfang ist, desto mehr suchen sie nach den Fehlern, nach dem berühmten Haar in der Suppe. Warum? Weil es zu schön ist, um wahr zu sein. Das Unterbewusstsein schreit: „Das kann doch nicht klappen!“ Und schon fängt das Gehirn an, die Fehlerangel auszuwerfen.
Ein Beispiel aus meiner Praxis: Eine Klientin prüfte ihren neuen Partner auf Herz und Nieren – täglich mehrfach. Es war ihr sehr unheimlich, dass er trotz aller gestellten Prüfungen blieb und sogar freundlich auf sie einging. Er ging nachts um drei zur Apotheke, um ihr Nasenspray zu besorgen, und kochte ihr mitten in der Nacht ein Drei-Gänge-Menü, obwohl er todmüde war. „Das muss doch wahre Liebe sein, oder?“, dachte sie. Natürlich war abzusehen, wie lange das gut gehen würde.
Als der liebevolle Partner schließlich genug von den Prüfungen hatte und die Beziehung beendete, war ihre Reaktion: „Das war ja eh klar, dass er es nicht ernst mit mir meinte.“ Ein klassisches Beispiel für Selbstsabotage durch Bindungsangst.
Die Angst, verletzt zu werden
Die Angst, verletzt oder verlassen zu werden, sitzt tief. Viele von uns haben diese Erfahrungen schon in der Kindheit oder in früheren Beziehungen gemacht. Diese Angst führt dazu, dass wir uns selbst und die Beziehung sabotieren, noch bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. Es ist fast wie ein unbewusstes Schutzprogramm: „Lieber finde ich die Schwächen frühzeitig, bevor ich am Ende wieder enttäuscht werde.“
Und dann kommt der Cocktail aus Botenstoffen, auf den unser Körper schon gewartet hat. Ja, richtig gehört! Der Körper serviert uns in dem Moment, in dem die Beziehung beendet wird, einen Cocktail von Stresshormonen, der die Schmerzen intensiviert und gleichzeitig eine gewisse emotionale Erleichterung bringt. Es ist, als ob unser Körper diesen Moment erwartet hat. Ob es ein Jahr, fünf Jahre oder sogar zehn Jahre dauert – der Cocktail kommt mit dem Eintritt der Prophezeihung, und das Jammertal des Schmerzes folgt darauf. Das Feuerwerk der gelernten Erfahrung ist verlässlich!
Die Entstehung der Bindungsangst
Interessanterweise wird das Thema Bindungsangst erst seit einigen Jahren in der Öffentlichkeit und auch in therapeutischen Praxen intensiv thematisiert. Früher hat kaum jemand darüber gesprochen, dass manche Menschen tatsächlich Angst vor Beziehungen haben. Schließlich, so dachte man, ist doch jeder Mensch von Natur aus beziehungsfähig. Doch das ist ein Trugschluss.
Damals, in der Nachkriegszeit, stand das bloße Überleben im Vordergrund. Die Menschen mussten sich arrangieren, um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nöte zu überstehen. Ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen und ein Partner, der stabil genug war, um gemeinsam durch diese schwierigen Zeiten zu gehen, waren von höchstem Wert. Emotionale Bedürfnisse, wie wir sie heute kennen, standen oft im Hintergrund. Eine ‚echte Liebe‘ oder die Vorstellung, sich den Partner in aller Ruhe auszuwählen, war in vielen Fällen ein Luxus, den sich nur wenige leisten konnten. Ich stelle mir auch die Frage wie beziehungsfähig war ein Vater nach 3 Jahre Russland Gefangenschaft?
Die Frage: Was ist Liebe, was bedeutet Beziehung, und was erwarten wir davon? Warum erwarten wir das überhaupt? Wenn ich diese Frage stelle, erhalte ich selten eine wirklich überzeugende Antwort. Damit meine ich nicht, dass ich nicht überzeugt bin, sondern dass die Klienten oft selbst Schwierigkeiten haben, für sich zu erklären, was Liebe eigentlich ist.
Wir müssen uns nicht mehr primär aus existenziellen Gründen binden, sondern können nach emotionaler Erfüllung und individueller Passung suchen. Doch genau diese Freiheit bringt auch neue Herausforderungen mit sich.
Viele Menschen mit Bindungsangst haben in ihrer Kindheit keine stabilen, verlässlichen Bindungserfahrungen gemacht. Sie haben gelernt, dass Nähe und Liebe nicht immer zuverlässig sind. In vielen Familien erleben Kinder nach einem Streit oder einer Regelverletzung einen Kontaktabbruch: Es wird nicht gesprochen, jemand verlässt den Raum, und tagelang herrscht Schweigen. Für ein Kind ist das eine große Bedrohung, denn es ist auf die Nähe und Fürsorge der Eltern angewiesen.
Ohne die Anleitung, wie wir gut in Kontakt treten und bleiben können, wird es schwer, eine gesunde, echte Beziehung zu führen.
Was kommt als Nächstes?
Ich gehe in weiteren Teilen auf das Thema Bindung ein:
- 2. Wie erkenne ich „Knallfrösche“ in Beziehungen?
- 3. Warum Bindungsangst ?
- 4. Der Weg zur Eigenliebe
- 5. Und schließlich: Die Liebe zu finden und zu leben
Wehr mehr zu dem Thema lesen möchte, dem kann ich das Buch von Stefanie Stahl wärmstens empfehlen.
Jein!: Bindungsängste erkennen und bewältigen. Hilfe für Betroffene und deren Partner