
Angst ist mehr als ein Gefühl. Erfahren Sie, wie Angst entsteht, warum Neugier ein Schlüssel im Umgang mit ihr ist und wie Sie durch psychologisches Verstehen zu mehr Gelassenheit finden.
Der Umgang mit Angst: Was wir wissen, wie wir reagieren und was wirklich hilft
Wenn Menschen in meine Praxis kommen, berichten sie oft von Angstzuständen, die sie als sehr belastend empfinden. Dabei ist Angst nicht einfach ein Gefühl, sondern eine komplexe Reaktion, die aus körperlichen, emotionalen und kognitiven Prozessen besteht. Angst entsteht aus einer tiefen inneren Dynamik heraus und will uns in erster Linie schützen.
In akuten Gefahrensituationen – zum Beispiel, wenn uns ein wilder Tiger im Park folgt – ist Angst lebensrettend. Sie mobilisiert unser System: Flucht oder Kampf werden aktiviert. Doch in der heutigen Welt gibt es selten solche realen Bedrohungen. Und trotzdem erleben viele Menschen intensive Angstzustände – ohne dass eine akute Gefahr besteht.
Angst oder Furcht? Der Unterschied ist wesentlich
Hier gilt es, zwischen Furcht und Angst zu unterscheiden: Furcht bezieht sich auf eine konkrete Bedrohung. Angst dagegen ist oft diffuser, ungerichteter und reagiert auf innere Bilder, Erfahrungen oder Erinnerungen. Viele Menschen spüren Angst, obwohl objektiv kein „Tiger“ in der Nähe ist. Genau hier beginnt die psychologische Arbeit.
Warum Neugier heilsam sein kann
Wir haben verlernt neugierig zu sein, obwohl dies eine der schönsten Eigenschaft von uns Menschen ist. Neugier ist mehr als ein gedankliches Interesse. Wenn wir beginnen neugierig unsere Erfahrungen, unseren Emotionen und unserem Erleben an zu schauen, verlassen wir gewohnte Bahnen. Es ist eine neue Herangehensweise an etwas, das wir sonst als gegeben hinnehmen. Viele von uns haben im Laufe ihres Lebens verlernt, sich zu wundern. Neugier bedeutet, sich zu erlauben, zu fragen: „Was ist das? Warum fühle ich das? Woher kommt das?“ Diese Form der Zuwendung öffnet einen Raum für Veränderung und deckt falsche Denkmuster auf.
In meiner Praxis lade ich meine Klientinnen und Klienten dazu ein, ihrer Angst mit eben dieser Form der Neugier zu begegnen. Denn Neugier ist ein Zustand, der das Nervensystem eher reguliert und überhaupt erst erlaubt, mit inneren Prozessen in Kontakt zu treten, ohne retraumatisiert zu werden. Wer neugierig ist, kann beobachten statt auf etwas zu reagieren, was schon längst vorbei ist, auch wenn es sich anders anfühlt.
Angst verstehen heißt: tiefer blicken – aber nicht fallen!
Viele Menschen, die mit chronischer Angst leben, haben frühe Erfahrungen von Unsicherheit, Zurückweisung oder Überforderung gemacht. In diesen Kontexten war es oft notwendig, sich von den eigenen Gefühlen zu trennen, um weiter zu funktionieren. Das war ein sinnvoller und oft überlebensnotwendiger Schutzmechanismus. Doch was damals geholfen hat, kann heute im Weg stehen.
In Gesprächen frage ich manchmal scheinbar aus dem Nichts: „Wie ist Ihr Verhältnis zur Wut?“ Oft ist die Reaktion: „Wut? Ich bin eher ängstlich.“ Doch wenn wir tiefer gehen, zeigen sich unter der Angst häufig andere, verborgene Gefühle – wie Wut, Trauer oder Scham. Diese Emotionen waren vielleicht in der Herkunftsfamilie nicht erlaubt, wurden verdrängt oder blieben unerkannt. Angst wird so zum „Deckgefühl“. Es ist wichtig zu erkennen: Die Angst, die wir heute empfinden, ist oft keine Reaktion auf das Jetzt, sondern eine alte Reaktion auf frühere Erfahrungen.
Katastrophisieren: Ein Versuch, Kontrolle zu behalten
Ein verbreitetes Phänomen im Umgang mit Angst ist das Katastrophisieren: Wir stellen uns die schlimmstmöglichen Szenarien vor, in der Hoffnung, dadurch vorbereitet zu sein. Doch das Gegenteil passiert: Das System bleibt im Alarmzustand. Eine Übung, die ich gern mit Klient*innen mache: Zurückschauen und aufzählen, wie viele Sorgen sich nie bewahrheitet haben. Diese Übung wirkt oft entlastend.
Wenn Angst Hinweise gibt
Manchmal zeigt Angst uns auch, dass ein inneres Bedürfnis ansteht, das bislang nicht gesehen wurde. Zum Beispiel das Bedürfnis nach Klarheit, Schutz oder Selbstbestimmung. Gerade Menschen mit frühen traumatischen Erfahrungen haben gelernt, diese Bedürfnisse zu unterdrücken. Sobald sie sich zeigen, entsteht Angst – nicht weil das Bedürfnis „falsch“ ist, sondern weil es früher nicht sicher war, es zu zeigen.
Fazit: Angst ist nicht unser Feind – Sie kann uns ein Ausweg sein oder uns erinnern, dass es vorbei ist
Angst will uns nicht schaden. Sie ist ein Signal, dass etwas Wichtiges beachtet werden möchte. Wenn wir lernen, mit Neugier und Mitgefühl auf sie zu schauen, verlieren wir nicht nur die Angst vor der Angst – wir finden auch neue Zugänge zu uns selbst. Vielleicht haben wir damit die Chance, im Jetzt und Hier uns neu zu entdecken und unser „wirkliches“ Leben zu leben.
Liebe Angst, halt doch mal die Klappe!: 24 Tools, um Angst und Panik zu überwinden (Lebenshilfe Selbstcoaching) – gibt es auch als Hörbuch 🙂