Wir sind nicht mit Scham und Schuld geboren
Den Kreislauf durchbrechen – den inneren Kritiker entlarven
Kennst du das? Der Tag fing so gut an, und plötzlich fühlen wir uns unwohl – und verstehen nicht, was überhaupt passiert ist.
Manchmal gibt es diese Tage, an denen die Stimmung aus dem Nichts kippt. Am Morgen fühlst du dich gut, alles läuft wie geplant, und plötzlich kommt ein Gefühl der Unsicherheit oder gar der Scham auf. Woher kommt das? In meiner Praxis beobachte ich oft, dass diese plötzlichen Stimmungswechsel auf tief verankerte Selbstbeschämung zurückzuführen sind. Diese Form der Selbstkritik arbeitet leise im Hintergrund und kann das Selbstwertgefühl massiv untergraben, ohne dass wir es bemerken.
Selbstbeschämung – ein unsichtbarer Angriff auf unser Selbstwertgefühl
Selbstbeschämung ist wie ein schleichender Angriff auf das eigene Selbstbild. Es sind diese inneren Stimmen, die immer wiederkehrend sagen: „Du bist nicht gut genug“, „Das hättest du besser machen müssen.“ In meinen Sitzungen höre ich nicht selten, wie Klienten von dieser endlosen Schleife berichten, in der sie sich selbst kritisieren und klein machen. Diese Art von Selbstbeschämung führt dazu, dass man sich immer mehr zurückzieht und das Vertrauen in sich selbst verliert. Das persönliche Wachstum wird blockiert, weil man sich permanent in Frage stellt.
Diese Selbstbeschämung wurzelt oft in tiefen Mustern, die in der Kindheit entstanden sind. Ein wiederkehrendes Thema ist das sogenannte Täter-Introjekt. Kinder übernehmen unbewusst die kritischen oder verletzenden Stimmen von Autoritätspersonen, die sie umgeben oder umgeben haben. Diese müssen nicht einmal explizit etwas gesagt haben. Kinder sind sehr gut darin, die Emotionen und Reaktionen ihrer Umwelt zu spüren – sie nehmen wahr, wenn jemand enttäuscht oder abweisend ist, und verinnerlichen diese Reaktionen und versuchen sich dann anzupassen, um die Situation zu verbessern. Wir werden als soziale Wesen geboren und wünsche uns alle geliebt und gesehen zu werden.
Wie der innere Kritiker in der Kindheit entsteht
Heute wissen wir dass bestimmte Glaubenssätze nicht nur durch klare Aussagen entstanden sind, sondern auch durch nonverbale Signale. Ein scharfer Blick, ein Abwenden, oder ein Tadel geben uns das Gefühl, „falsch“ zu sein, obwohl man „alles“ richtig gemacht hat. Besonders in Familien, in denen Erwachsene mit eigenen Herausforderungen zu kämpfen hatten, entwickeln Kinder oft den Glauben, sie selbst seien das Problem.
Oft frage ich meine Klienten, wer ihnen bestimmte negative Dinge über sich selbst vermittelt hat. Dann höre ich Antworten wie: „Tante Erna hat immer das Gefühl gegeben, ich wäre nicht gut genug.“ Doch was das „Kind“ zu den Aussagen und der Haltung der Menschen um es herum nicht berücksichtigen kann, hier, den Hintergrund von Tante Erna. Wenn Tante Erna selbst in einem Umfeld von Krieg, Leid oder ständiger Missachtung aufgewachsen ist, gibt sie genau das weiter, was sie gelernt hat. Sie war vielleicht nicht fähig, etwas anderes zu spiegeln und trug in sich, die gleichen Scham Gedanken, falsch zu sein. Oft leben diese Glaubenssätze über den Tod der Menschen in uns weiter, in dem Fall überlebt der Glaubenssatz von Tante Erna. Wir nennen so etwas ein Täter Introjekt. Daher ist es so wertvoll, diesen Trugschluss aufzuarbeiten um ihn auch nicht weiter zu geben, denn dies erfolgt natürlich nicht nur innerhalb einer Familie.
Den inneren Kritiker entlarven und sich entschämen
Im Coaching lernen wir, diese fremden Stimmen zu erkennen und zu hinterfragen. Wir blicken mit Abstand auf diese inneren Kritiker um uns zu fragen: „War das wirklich gerecht?“ Hätte Tante Erna nicht auch freundlicher mit mir umgehen können? War ihre Kritik überhaupt berechtigt? In der Regel stellen meine Klienten schnell fest, dass diese Glaubenssätze zwar tief verwurzelt sind, aber nicht der Realität entsprechen. Das ist ein trauriges, schmerzhaftes Erkennen!
Diese Reflexion hilft aber, sich von der harten Selbstbeschämung erstmals zu distanzieren. Es geht darum, zu erkennen, dass diese inneren Kritiker gar nicht unsere eigenen Stimmen sind, sondern uns mitgegeben wurden und somit gelernte Muster sind. Wenn wir das verstanden haben, können wir beginnen, diese negativen Glaubenssätze loszulassen. Natürlich ist das kein einfacher Prozess, aber wir können Schritt für Schritt daran arbeiten, diese Muster zu durchbrechen. Wir haben schließlich auch nicht an einem Tag gelernt, dass wir angeblich „falsch“ sind – und genauso wird es Zeit brauchen, diese Überzeugungen loszulassen.
Mitgefühl mit uns selbst – der Schlüssel zur Heilung
Eine der wirkungsvollsten Strategien, um aus dem Kreislauf der Selbstbeschämung auszubrechen, ist das Entwickeln von Mitgefühl und ein besseres Verstehen für uns selbst. In meinen Sitzungen lade ich die Klienten dazu ein, sich selbst gegenüber genauso mitfühlend zu sein, wie sie es bei einem guten Freund sind. Ein spannender Prozess beginnt, denn oft ist der Klient um einiges freundlicher zu seiner Umwelt als zu sich selbst. Er kennt das Leid der Verurteilung.
Liebevoll mit sich umzugehen bedeutet auch, sich selbst in der alten kindlichen Not besser zu verstehen, bzw. sie erstmalig wahrzunehmen.
Bitte mach Fehler!
Fehler des Lebens sind Teil unseres Wachstums. Sie bedeuten nicht, dass wir wertlos sind oder uns schämen sollten, wenn wir einen Fehler machen. Vielmehr geben uns „Fehler“ die Möglichkeit, zu lernen und uns weiterzuentwickeln. In der Psychologie spricht man oft von der Notwendigkeit, den inneren Kritiker durch eine wohlwollendere Stimme zu ersetzen – eine Stimme, die sagt: „Es ist okay, Fehler zu machen. Du bist trotzdem wertvoll.“ Well done! Das nächste mal wissen wir bescheid.
Kennt ihr den Spruch:“ Hinfallen, Aufstehen, Krone richten und weiter laufen?
Die Rolle der Scham – ein Fenster zu unseren wunden Punkten
Die Scham ist stark mit dem eigenen Selbstwertgefühl und unserer Verletzlichkeit verbunden. Sie tritt auf, wenn wir das Gefühl haben, den Erwartungen – ob den eigenen oder den fremden – nicht gerecht zu werden. Scham macht uns innerlich klein und löst das Bedürfnis aus, wegzulaufen um sich zu verstecken. Scham kann uns aber auch etwas Wichtiges zeigen: unsere wunden Punkte.
Indem wir uns trauen, die Ursachen unserer Scham zu erforschen, können wir lernen, liebevoller mit uns selbst umzugehen. Je mehr wir über die Auslöser unserer Scham wissen, desto weniger Raum geben wir diesen alten Glaubenssätzen, uns zu beschämen. Wenn wir uns bewusst machen, dass wir nicht der innere Kritiker sind, können wir anfangen, ihn loszulassen und freundlicher mit uns umzugehen.
Du kannst lernen zu Deinem inneren Kritiker zu sagen:“ Halt den Mund, dass ist alles Quatsch was du da sagst ich bin toll und weiss was ich tue“. Oder sag zu Ihm:“ Ich verstehe das du das so sehen musst mit deinen Erfahrungen die du gemacht hast, aber jetzt und hier, ist das nicht mehr richtig.
Fazit: Sich entschämen – ein Prozess, der Heilung bringt
Es geht nicht darum, Scham und Selbstbeschämung von heute auf morgen loszuwerden. Aber in meiner Praxis habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die sich ihrer selbstkritischen Muster bewusst werden und sich mit Mitgefühl begegnen, eine große Erleichterung erfahren. Der innere Kritiker verliert nach und nach seine Macht, und das Gefühl, sich ständig selbst beschämen zu müssen, kann langsam weichen. Diesen Weg zu gehen, erfordert Zeit und Mut – doch die Belohnung ist ein tiefes Verständnis für sich selbst und dem wachsenden Selbstwertgefühl.
Es geht letztlich darum, den inneren Kritiker zu entlarven und seine Macht über uns zu schwächen. Die Selbstbeschämung, die uns so oft klein hält, ist nicht die Wahrheit über uns. Sie ist ein Produkt alter Glaubenssätze, die wir nicht länger brauchen. Indem wir uns bewusst machen, dass diese kritischen Stimmen oft von außen kommen, können wir beginnen, sie loszulassen und liebevoller mit uns umzugehen. Scham kann uns niemand von außen nehmen – wir selbst müssen lernen, uns zu entschämen und uns so zu akzeptieren, wie wir wirklich sind.
»Wir sind nicht mit Scham und Schuld geboren«
Scham und Schuld sind tiefsitzende, oftmals unbewusste Empfindungen, die das Lebensgefühl nachhaltig beeinflussen. Der renommierte Psychotherapeut und Begründer des NARM™- Ansatzes Laurence Heller und die Therapeutin Angelika Doerne erläutern die vielfältigen Erscheinungsformen und Folgen dieser negativen Selbstwahrnehmungen. Sie zeigen deren Entstehung anhand acht exemplarischer Charaktere auf und eröffnen Wege zur Befreiung und Heilung. Dabei spielt das gesamte persönliche Erleben eine wichtige Rolle: Durch tiefes Verstehen, Annehmen der eigenen Gefühle und Bedürfnisse sowie Mitgefühl mit sich selbst können fest verwurzelte Scham und Schuld gelockert werden. Dann können sich Lebenskraft, Freude, Liebesfähigkeit und Zufriedenheit entfalten! In diesem grundlegenden Werk zum NARM™-Ansatz liefern Heller und Doerne dem Leser anschaulich Wege und Prinzipien, um sich dauerhaft von Scham und Schuld zu befreien und sich selbst neu zu finden.
Befreiung von Scham und Schuld: Alte Überlebensstrategien auflösen und Lebenskraft gewinnen. Das Neuroaffektive Beziehungsmodell – NARM™