Wenn die Nähe zu anderen Menschen Angst macht, in Kontakt bleiben und Bindung nicht aushaltbar ist?
Unbewusst wird das Drama aus der Kindheit immer wieder neu reinszeniert. Menschen mit Bindungsangst leben unterbewusst in dem Glauben, dass Bindung scheitert und nur der Schmerz des verlassen seins, bleibt. Selbstentwertung und alte Glaubenssätze sind der Nährboden für diese Annahme.
Gefühle werden möglichst abgestellt, alte Überlebensstrukturen dealen das bereits seit Jahren für uns im Hintergrund. Wer keine schlechten Gefühle hat, hat leider auch keine guten. Ein hoher Preis, der selten bekannt ist.
Die Vermeidung der Wiederholung des Schmerzes, durch Verlust von Bindung, macht unterbewusst Angst. Die Beziehung selber zu zerstören ist besser, als das Risiko einzugehen, dass mein Gegenüber den Kontakt zu mir abbricht. Unbewusste Provokationen sind Tests für die Stabilität der Bindung und prüfen ständig die Tragfähigkeit. Dieser Prozess kann Jahre andauern. Nach einer 15-jährigen Ehe sagte eine Klientin zu mir: „Ich habe von Anfang an gewusst, dass diese Beziehung nicht hält“.
Es wird zunehmend anstrengender für beide Seiten.
Ein hoher Preis für Nähe und Liebe, die wir uns eigentlich alle wünschen.
Gedanken von Tom in einer Beziehung
Du kommst mir so nah, so wunderbar nah. Deine Wärme, deine Liebe, deine Zuneigung, zu schön. Es fühlt sich so gut, so unglaublich gut an. So wunderbar vertraut und aufgehoben. So eine Beziehung war immer mein Traum, ich wusste das es so etwas gibt.
Ein ungutes Gefühl schleicht sich ein. Angst und Unruhe steigen in mir auf. Unsicherheit wird spürbar, wie lange dauert es dieses Mal, bis ich dich verliere, war da nicht etwas komisch in der letzten Begegnung? Die Wärme, die Aufmerksamkeit die freundliche Zuwendung sind vielleicht doch nicht echt. Je tiefer und schöner unsere Begegnungen werden, je mehr ich mich darauf freue desto absurder werden meine begleitenden Gedanken. Du wirst mich aufgeben, Du wirst nicht auf Dauer zu mir stehen, ich habe Angst das Du mich erkennst und verlässt. Es wird nicht gut gehen, dass habe ich schon so oft erlebt! NEIN, nicht wieder.
Ich prüfe die Bindung, teste was Du aushältst, ob Du zu mir stehts. Wie sehr liebst Du mich?
Das was Du sagst höre ich, aber kann es nicht fühlen, ist das nur ein Trick?
Das halte ich nicht aus! Lieber direkt alles kaputt machen bevor Du es tust, bevor der Schmerz noch größer wird und der Verlust unser Bindung mich fast umbringen wird. Ich könnte es nicht schon wieder ertragen!
Streit, Vorwürfe, Rückzug!
Die Gefahr ist gebannt, der Kontakt ist abgebrochen, einfach nur weg, ich bringe mich in Sicherheit, es war nicht vermeidbar, sonst hättest Du es getan. Ich habe es gleich gewusst und die ersten Anzeichen erkannt.
Jetzt habe ich wieder die Kontrolle über mein Leben. Ich fühle mich sicher, aber auch irgendwie leer.
Ich komme damit klar, kein Problem, ich habe viele gute Seiten.
Ich vermisse Dich! Ich bin einsam.
Jetzt bin dort wo ich schon öfters war, allein, taub und ohne Bindung, auf der Suche nach ehrlicher Wertschätzung und Liebe! Vielleicht klappt es beim nächsten Mal. Ich mache mich auf zu neuen Ufern, ich glaube an die Liebe und werde einen Partner finden der mich so liebt wie ich bin.
Bindungsängste führen nicht selten zu Kontaktabbruch. Es wird eng und einfach zu nah.
Kontaktplattformen wie Tinder & Co. sind ein Garant für schnelle Ablenkung. Es gibt viele Menschen die Angst vor ihren eigenen Gefühlen haben. Das Dilemma nimmt seinen Lauf.
Oft haben Menschen in der Kindheit unsichere Bindungen erlebt.
- Bindung die nicht bedingungslos war.
- Bindung die nicht verlässlich war.
- Bindung auf die wir keinen Einfluss hatten.
Wir waren „nur“ das Kind. Wir waren klein und nicht verantwortlich für das schlechte Umfeld in dem wir aufgewachsen sind. Wir haben keinen Anteil an den Streitereien unserer Eltern, an deren Nöten oder Süchten! Wir hatten aber auch keine Chance Kind zu sein.
Kinder fühlen sich immer verantwortlich, wenn Bindung in der Kindheit nicht gelingt.
Ein Kind kann noch nicht sein Umfeld hinterfragen oder ändern. Das Kind passt sich an, an das was da ist. Jedes Kind möchte ein braves, liebenswertes Kind sein. Die Eltern sind die Könige im Reich des Kindes. Kinder sind abhängig von ihren Eltern und können schlechte Strukturen nicht erkennen oder sich ihnen entziehen. Sie empfinden zu unrecht Schuld und Scham, wenn das Zuhause nicht ok ist. Ein Kinder versucht den „Missstand“ auszugleichen und entfernt sich von seinen Gefühlen, denn diese sind in ihrer Lebenssituation nicht erwünscht und nicht aushaltbar.
Es muss aber nicht so bleiben, wir können lernen gute Bindungen von schlechten zu unterscheiden. Wir können unsere Ängste erkennen und unsere „Worst Case“ Fantasien erforschen. Es ist möglich Grenzen zu setzen, ohne die Bindung zu unterbrechen.
Es ist nicht nur wichtig für jeden einzelnen, sondern auch für unsere Gesellschaft in der wir leben.
Wenn wir Verlässlichkeit, Vertrauen und Verbindlichkeit leben, heilen wir und auch die Menschen um uns herum. Wenn wir Vertrauen und eigene Unsicherheit aushalten lernen, werden wir Vorbilder und können auch selbst neue und gute Erfahrungen machen. Wir können das nachreifen, was in der Kindheit nicht existent war.
Tragfähige Bindungen sind belastbar und zuverlässig und geht nicht verloren, wenn wir mal nicht ok sind. Das Leben kann leicht, fröhlich und frei sein, gerade weil wir guter Bindungen haben! Eine sichere Hängematte auf die wir in schweren Stunden vertrauen können.
Denn erst wenn ich ohne Dich leben kann, kann ich auch mit Dir leben!