Zwischen Zerstörung und Neubeginn: Die Wahrheit über Untreue

Untreue in Beziehungen: Zerstörung oder Neubeginn?

In meiner Praxis erlebe ich immer wieder, dass Paare ihre Beziehung vernachlässigen und zu wenig dafür tun, um sie frisch zu halten. Oft schleicht sich unbemerkt eine Selbstverständlichkeit ein, und Gemeinsamkeiten sowie die Wertschätzung für den Partner nehmen ab. Ein passender Spruch lautet: „Paarbeziehungen werden von alleine schlecht.“ Und das trifft zu! Ohne aktives Bemühen um die Beziehung kann sich eine Distanz einschleichen, die Nähe und Intimität verdrängt.

Untreue in Beziehungen ist ein entscheidender Wendepunkt. Sie zerstört Vertrauen und führt zu tiefen Verletzungen. Gleichzeitig bietet sie eine Chance: Wenn beide Partner bereit sind, an den Problemen zu arbeiten, kann die Krise eine Grundlage für Wachstum und Heilung schaffen. In der Paartherapie zeigt sich immer wieder, dass Untreue oft grundlegende Beziehungsprobleme aufdeckt, die gelöst werden können.

Warum entsteht Untreue? Ursachen und Verantwortung

Der untreue Partner steht vor der Frage, warum das Ausweichen auf einen anderen Menschen so anziehend war, dass Lug, Betrug und die Verletzung des Partners in Kauf genommen wurden. Worum ging es in dieser Außenbeziehung, und wurde darüber jemals mit dem Partner gesprochen das dies in der aktuellen Beziehung vermisst wird? Oft geht es um ein Lebensgefühl oder Bedürfnis, das in der Beziehung zu kurz kam. Dabei möchte ich nicht nur auf sexuelle Aspekte hinweisen – es lohnt sich, hier kreativ über andere mögliche Ursachen nachzudenken.

Ebenso wichtig ist die Mitverantwortung des „treuen“ Partners. In vielen Fällen nimmt dieser eine passive Rolle ein, die zur Distanzierung und emotionalen Abkühlung in der Beziehung beiträgt. Hier ist Reflexion gefragt: Welche Anteile trage ich selbst dazu bei, dass mein Partner sich außerhalb der Beziehung etwas sucht? Nur durch diese Selbsterkenntnis können beide Parteien gemeinsam wachsen.

Verletzung und Scham: Ein havariertes Schiff

In der Situation von Verletztheit oder Scham gleichen viele Paare einem havarierten Schiff auf offener See. Um festzustellen, ob es Aussicht auf Heilung gibt, kann es hilfreich sein, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Dabei gibt es aus therapeutischer Sicht klare Anforderungen an das Paar:

  1. Aufgabe der Außenbeziehung: Ohne klare Distanzierung von der dritten Person bleibt eine Entwicklung blockiert. Es wird weiter verletzt und geflüchtet.
  2. Selbstreflexion beider Partner: Sowohl die „betrogene“ Person als auch diejenige, die untreu war, müssen ihren Beitrag zur Situation erkennen und Verantwortung übernehmen.
  3. Gemeinsame Arbeit an der Beziehung: Nur wenn beide bereit sind, sich der schwierigen, aber lohnenswerten Aufgabe zu stellen, kann ein Neubeginn gelingen.

Diese Prozesse verlangen viel Toleranz, Mut und die Bereitschaft, den Schmerz zu fühlen, ohne in destruktive Emotionen wie Wut oder Resignation abzudriften. Wenn dies gelingt, erleben viele Paare eine Beziehung mit neuer Intensität und Qualität.

Untreue: Was ist zu überwinden?

Langjährige Affären hinterlassen oft tiefe Wunden. Das Vertrauen wird zerstört, und das Verarbeiten des Doppellebens des Partners ist für viele Betroffene extrem schwer. Ein Neubeginn erfordert intensive Arbeit und scheitert oft, wenn der Schaden zu groß ist. Dennoch zeigt die Praxis, dass Heilung möglich ist, wenn beide Partner bereit sind, sich der Herausforderung zu stellen.

Die Grenze von „zu viel“ und „zu spät“

Wenn eine Affäre über Jahre hinweg läuft, fühlen sich viele „betrogene“ Partner:innen derart verletzt, dass sie keinen Weg zurück mehr sehen. Das Gefühl, durchgehend belogen worden zu sein, führt oft zu einem Punkt, an dem der Schaden irreparabel ist. Die Entscheidung zwischen Trennung oder Neubeginn ist daher ein häufiges Thema in der Paarberatung.

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Paartherapie

Damit eine Heilung überhaupt möglich wird, müssen klare Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Aufgabe der Außenbeziehung: Diese Entscheidung ist unverzichtbar und zeigt die Bereitschaft zur Stammbeziehung.
  2. Klare Signale an den betrogenen Partner: Der untreue Partner muss deutlich machen, dass er sich aktiv für die bestehende Beziehung entscheidet und diese nicht nur aus Bequemlichkeit aufrechterhalten will. Aspekte wie Wohnsituation, Finanzen oder Kinder dürfen nicht im Vordergrund stehen.
  3. Integration von neuen Bedürfnissen: Häufig spiegelt die Außenbeziehung ungelebte Anteile wider, die in die Stammbeziehung integriert werden müssen, um langfristige Zufriedenheit zu schaffen.

Eine Entscheidung für die Zukunft

Die wichtigste Frage lautet: Gibt es noch genug Ressourcen im Paarsystem, um einen Neuanfang zu ermöglichen? Wenn beide Partner erkennen, dass der Schmerz und die Verletzungen zwar real, aber nicht unüberwindbar sind, kann eine Außenbeziehung tatsächlich der Startpunkt für eine völlig neue, intensivere Beziehung sein.

Ein Neubeginn verlangt nicht nur Vergebung, sondern auch eine klare Entscheidung für die Beziehung. Manche Paare müssen vor einem Neuanfang eine Phase der Distanz durchlaufen, um sich über ihre Gefühle und Prioritäten klar zu werden. Trennung oder Neubeginn – beide Wege sind möglich und bieten die Chance auf Wachstum.

Fazit: Die Chance auf Wachstum durch Untreue

Untreue ist eine der größten Herausforderungen, mit denen Paare konfrontiert werden können. Sie bringt enorme Verletzungen und Zerstörung mit sich, kann aber auch die Möglichkeit zu tiefgreifender Veränderung und Heilung bieten. Der Weg dorthin ist jedoch steinig und erfordert von beiden Partnern die Bereitschaft zur Reflexion, Kommunikation und Arbeit an der Beziehung. Mit professioneller Unterstützung und dem Willen, die eigenen Anteile zu erkennen und zu übernehmen, kann es gelingen, aus einer schweren Krise eine stabilere und intensivere Beziehung zu entwickeln. In jedem Fall eröffnet die Auseinandersetzung mit Untreue die Chance auf Wachstum und eine bewusste Entscheidung für die Zukunft.

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